Miro – ein Pudel mit einer verantwortungsvollen Aufgabe und viel Herz

Unterwegs mit Irmgard, einer blinden Frau, und ihrem Führhund Miro. Wenn Irmgard mit ihrem Grosspudel Miro unterwegs ist, spürt man sofort: Hier sind zwei, die sich blind verstehen – im wahrsten Sinne des Wortes. Miro ist Irmgards erster Blindenführhund. Er begleitet sie seit 2023 durch den Alltag: Aufmerksam, konzentriert und mit einer speziellen „Pudel-Eleganz“. Ich durfte die beiden im vergangenen Frühling besuchen und erhielt einen Einblick in ihr Leben – und meine Eindrücke teile ich jetzt mit dir in diesem Blogartikel. Der Besuch bei Irmgard und Miro war Teil meines Fotoprojekts über arbeitende Hunde.
Ein neuer Lebensabschnitt mit einem Blindenführhund
Irmgard ist wohl seit ihrer Geburt von einer Sehbehinderung betroffen, herausgefunden hat man das, als sie in die Schule kam. Anfänglich sah sie noch in einem eingeschränkten Masse, im Laufe der Zeit wurde die Sehkraft aber immer schwächer. Irmgard hat eine Tochter, war früher Musiklehrerin, gab Konzerte und unterrichtete – sie lebte mit und für die Musik. Doch die Sehbehinderung wurde immer stärker, bis sie schliesslich nicht mehr lesen konnte. Im Alter von 48 Jahren hörte sie auf, als Musiklehrerin zu arbeiten. Doch sie wollte mehr vom Leben, aktiv bleiben und sich ein neues Ziel setzen. Und so kam langsam die Idee auf, mit einem Hund zu arbeiten. Es dauerte Jahre, bis aus dem Gedanken ein konkretes Projekt wurde. Und dann noch einmal drei Jahre, bis Miro endlich bei ihr einzog. Ein zweieinhalbjähriger Pudel, sorgfältig ausgebildet, mit einem grossen Herz und einem klaren Kopf.
Von der Ausbildung zum eingespielten Team
Bevor Miro zu Irmgard kam, hatte er schon viel gelernt: Blindenführhunde werden schon als Welpe auf ihre Eignung getestet und verbringen in der Regel die ersten ca. eineinhalb Jahre bei einer Patenfamilie. Hier durfte Miro die Welt kennenlernen und erhielt seine Grunderziehung. Erst nach dieser Zeit begann seine eigentliche Ausbildung zum Blindenführhund beim VBM Liestal. Am Ende seiner Ausbildung musste Miro eine Prüfung bestehen. Als Miro mit zweieinhalb Jahren zu Irmgard kam, begann für die beiden eine intensive Zeit: Die Eingewöhnung, das gemeinsame Training, die ersten Schritte als Team. Während dieser Zeit wurde das neue Gespann eng von einem Blindenführhunde-Instruktor begleitet. Sie lernten gemeinsame Wege, Alltagssituationen und übten die richtigen Hörzeichen. Diese werden auf Italienisch gesprochen (Italienisch, weil diese Sprache mehr Vokale hat und somit der Hund die Hörzeichen besser von dem vielen Gesprochenem um ihn herum herausfiltern kann). Irmgard erzählte mir, dass dies eine sehr anspruchsvolle Zeit war, aber jeder Tag brachte sie und Miro ein Stück näher zusammen. Nach neun Monaten wurde mit einer „Standortbestimmung“ das Gespann von einem IV-Experten geprüft und erst dann gab es grünes Licht dafür, dass Miro bei Irmgard bleiben kann. Es heisst, es brauche rund zwei Jahre, bis ein Gespann wirklich harmoniert. Heute sind Irmgard und Miro ein eingespieltes Team und bei den beiden spürt man diese Verbindung. Nachlassen im Training ist aber für die ganze Zeit des Zusammenwirkens nicht angesagt. Zudem wird jedes Führhunde-Team vom VBM weiterhin begleitet, wenn auch nicht mehr so eng.
Ein Tag mit Miro
Wie sieht denn der Alltag mit Miro aus? Irmgard erzählte mir, dass zum Tagesbeginn immer ein Spaziergang ansteht: Versäubern, frische Luft, die Welt gemeinsam wahrnehmen. Danach führt Miro Irmgard zuverlässig durch den Alltag: Zum Einkaufen, an den Bahnhof oder an die Sitzungen des Blindenverbands, wo sich Irmgard ehrenamtlich engagiert. Sobald Miro ins Führgeschirr eingestiegen ist und das Zeichen bekommt, dass er loslaufen soll, ist dieser ausführende Pilot hochkonzentriert. Doch er hat – und braucht – auch seine Freizeit: Momente, in denen er einfach Hund sein darf. Irmgard erzählte mir, dass Miro seine Arbeit liebt. Aber genauso liebt er es, zu rennen, mit Artgenossen zu spielen oder einfach zu entspannen.
Miro führt Irmgard sicher an Hindernissen vorbei.
Die beiden warten gemeinsam auf den Zug.
Miro begleitet Irmgard über die Strasse.
Vertrauen auf vier Pfoten
In der Führarbeit – etwa zweimal täglich 30 Minuten – ist Irmgard die Navigatorin und Miro der Ausführer. Sie entscheidet, wohin es geht. Und Miro sorgt dafür, dass sie sicher ans Ziel kommen. Wenn ein Hindernis auftaucht, umgeht er dieses, bleibt stehen oder blockiert sogar: Beispielsweise bei einem Abgrund, bei einer Baustelle oder wenn ein Fahrrad kommt.
„Wenn Miro plötzlich stoppt, weiss ich: Er zeigt mir etwas an oder da stimmt etwas nicht! Ich vertraue ihm voll und ganz.“
Dieses Vertrauen ist die Grundlage ihrer Zusammenarbeit.
Der Strasse entlang führen – total einfach!?
Bei einem Ausflug ins Dorf führt Miro Irmgard entlang von Strassen – und dabei macht es einen Unterschied, ob eine Strasse ein Trottoir hat oder nicht.
BMuss Irmgard Miro beispielsweise auf der rechten Seite einer trottoirlosen Quartierstrasse führen lassen, läuft sie selber am rechten Saum, Miro – wie immer – führt an ihrer linken Seite. Für Laien sieht das völlig uninteressant aus, als ob die beiden nur daher laufen. Für den Führhund ist diese Arbeit aber sehr anspruchsvoll und verlangt hohe Konzentration. Er muss über die ganze Zeit den Abstand so einhalten, dass Irmgard rechts von ihm noch Platz hat, aber dass er dennoch nicht zu weit in der Strasse läuft. Zudem muss er den Verkehr direkt neben ihm ignorieren. Es gibt keinen Randstein oder keine Trottoirkante, die ihm visuelle Orientierung und einen etwas schützenden Abstand gewähren würde.
Auf einem dem Trottoir, so wie wir es auf dem obigen Bild sehen, läuft Irmgard auf der Seite der Trottoirkante, Miro führt links von ihr. Dabei achtet er darauf, dass sie genug Abstand zur Kante hat, damit sie nicht umkippt. Eine weitere Herausforderung: Wenn Miro auf der nicht der Strasse zugewandten Seite läuft (so wie im obigen Bild), ist es für seine Nase sehr spannend: So gibt es doch am Strassenrand häufig andere Hundegerüche oder sonstige interessante Dinge zu entdecken. Bei der Arbeit ist aber klar: Miro darf nicht stehen bleiben, um etwas zu beschnuppern und auch darf er kein Bein heben. Wenn Passanten entgegen kommen, darf der Hund das Trottoir nicht verlassen – ausweichen müssen die anderen. Genau umgekehrt ist es in einer Bahnhofhalle oder auf einer breiten Flaniermeile: Dort bahnt sich der Führhund einen Weg um die Menschen herum – in der Stosszeit ein richtiger Slalom.
Miro liebt seine Arbeit
Ich habe Irmgard gefragt, woran sie das erkennt. Sie erzählte mir, dass Miro sehr motiviert sei und er nur ganz selten nicht führen wolle. Das einzige, was ihn manchmal frustriert: Wenn Irmgard etwas zu Hause vergessen hat und den gleichen Weg nochmal zurück muss, dann geht Miro widerwillig mit. Hingegen ist er bei anderen Wegen top motiviert und führt sehr gerne – auch wenn es sich um einen Weg handelt, der vermeintlich langweilig ist, beispielsweise, weil es nur geradeaus geht. Generell gefällt es Miro, wenn er gesehen wird, überall willkommen ist und er mag auch das viele Lob, das er von verschiedenen Seiten her bekommt. Führhunde haben überall Zutritt und sind nicht selten eine willkommene Abwechslung, zum Beispiel für das Personal in den Läden oder beim Arztbesuch. Sie erhalten in der Gesellschaft viel Aufmerksamkeit, was ihre Motivation erhöht, Herrchen oder Frauchen an einen bestimmten Ort hinzuführen. Miro liebt diese Aufmerksamkeit und ist ein Sympathieträger, meint Irmgard. Wird diesen Sympathieträgern jedoch zu viel Beachtung geschenkt, kann sie das leider manchmal von der Arbeit ablenken.
Miro führt Irmgard in den Lift.
Miro zeigt Irmgard, wo sie einen Knopf drücken kann.
Miro und Irmgard gehen eine Treppe hinunter.
Wie wir als Aussenstehende helfen und unterstützen können
Irmgard wünscht sich, dass Menschen mehr Rücksicht nehmen, wenn sie einem Führhunde-Gespann begegnen. Es ist wichtig, den Hund nicht anzusprechen oder anzustarren, nicht zu treicheln oder gar zu füttern – auch dann nicht, wenn er gerade kein Führgeschirr trägt. Ein Führhund ist immer auf eine Art und Weise „im Dienst“ – jede Ablenkung des Hundes kann für eine sehbehinderte Person gefährlich sein und zu Unfällen führen. Irmgard betont, dass man sie als sehbehinderte Person gerne ansprechen darf, aber Miro ignorieren sollte. Das sei eine grosse Hilfe.
Blindenführhund = Hilfsmittel?!
Miro ist ein grandioses Hilfsmittel, aber er ist auch vollwertiges Familienmitglied! Er begleitet Irmgard durchs Leben, gibt ihr Sicherheit, Stabilität und Freiheit. Dank ihm kann sie selbstständig unterwegs sein, bewegt sich sicherer und kommt leichter in Kontakt mit Menschen. Ohne Hund würde sie nie so viele Kilometer unterwegs sein! Irmgard betont in unserem Gespräch: Es gibt mehr Menschen mit einer Sehbehinderung, die sich gegen einen Führhund entscheiden. Ein Hund bedeutet viel Präsenz und Verantwortung, es ist viel Arbeit, Planung, die Familien- und Wohnsituation muss passen, zudem kann man das Tier nach Gebrauch nicht einfach in die Ecke stellen wie ein Werkzeug.
Wenn die Arbeit einmal endet
Irmgard ist nur Halterin, denn ein Führhund steht im Dienst der IV und bleibt Besitz des VBM (Verein für Blindenhunde und Mobilitätshilfen). Irgendwann kommt der Moment, in dem ein Führhund in Pension geht, meist mit etwa zehn oder elf Jahren, je nach Gesundheit des Hundes. Irmgard hofft, dass Miro dann bei ihr bleiben darf. „Er gehört einfach zu mir.“ Und wer die beiden zusammen erlebt, weiss sofort: Das ist keine Frage! Allerdings müssen die Rahmenbedingungen stimmen, damit ein pensionierter Führhund bei seiner Halterin oder seinem Halter bleiben darf, was jeweils individuell und sorgfältig beurteilt wird.
Mein Fazit
Der Einblick in den Alltag von Irmgard und Miro hat mich sehr berührt. Ich bin beeindruckt, wie sie als Mensch mit einer Sehbehinderung sämtliche Herausforderungen bewältigt, die sich mir als Mensch mit normaler Sehkraft gar nicht als Herausforderungen stellen. Wie sicher Irmgard mit Miro durch das Dorf gelaufen ist, hat mich fasziniert: So musste ich schon ein hohes Tempo anschlagen, um mit den beiden Schritt halten zu können
Dabei arbeiteten die beiden immer sehr konzentriert. Mir war vorher nicht bewusst, wie anstrengend solche Touren für das Führhundeteam sein können! Umso schöner finde ich es, dass Miro auch genügend Raum bekommt, um einfach Hund zu sein, sich auszuruhen und dann voller Motivation für den nächsten Arbeitseinsatz bereit ist.
Miro ist ein Alltagsheld: Ein Hund, der Verantwortung trägt, Sicherheit schenkt und zeigt, was Vertrauen bedeutet. Er und Irmgard sind ein wunderbares Beispiel dafür, was entsteht, wenn Mensch und Hund zu einem echten Team werden.
Danke Irmgard, dass du deine Geschichte geteilt hast – und danke Miro, für deine Arbeit, die so still und selbstverständlich wirkt, und doch so unglaublich wertvoll ist.
Fotoprojekt über arbeitende Hunde
Ich stelle Hunde mit einem Job in den Fokus und begleite sie bei ihrer Arbeit – sei es bei der Jagd, im Rettungseinsatz, als Therapiehund oder in vielen weiteren spannenden Bereichen. Ich möchte mit dem Projekt zeigen, wie vielfältig, verantwortungsvoll und beeindruckend die Aufgaben sind, die Hunde gemeinsam mit ihren Menschen erfüllen.